Links vs. Rechts – Warum wir politische Einstellungen falsch einordnen

Politische Einstellungen und Ideologien werden heute gerne mittels eines Spektrums oder eines Ordnungssystems klassifiziert und verglichen. Am weitesten verbreitet ist dabei der eindimensionale Vergleich zwischen links und rechts. Moderne Ansätze hingegen ziehen weitere Dimensionen hinzu, um eine exaktere Einordnung zu ermöglichen. Keines dieser Modelle wird jedoch der Realität gerecht.


Warum ordnen wir politische Einstellungen falsch ein? Um diese Frage zu verstehen, ist eine Betrachtung der aktuellen politischen Ordnungssysteme nötig.

Welche politischen Ordnungssysteme gibt es?

Am Anfang steht das eindimensionale Modell. Es findet seinen Ursprung in der französischen Nationalversammlung, welche sich 1814 nach ihrer politischen Orientierung sortierte. Anhänger der Monarchie (Adel, Kirche) beanspruchten den Platz rechts vom Parlamentspräsidenten. Sie waren mit der alten Ordnung zufrieden und sahen sich als Bewahrer konservativer Werte. Links saßen Revolutionäre und Bürger, welche sich gegen das bestehende System wandten und Veränderungen durchsetzen wollten.

Chambre des députés (1848)

Wenn heute von links oder rechts gesprochen wird, ist damit also progressiv oder konservativ gemeint. Diese Einordnung entspricht aber längst nicht mehr der Realität. Wir haben heute eine vielfältige Landschaft an Parteien. Hier kann es durchaus vorkommen, dass eine Partei in einigen Bereichen progressive Politik vertritt, aber in anderen Bereichen erzkonservativ eingestellt ist.

Ein sehr gutes Beispiel ist dabei die Freie Demokratische Partei (FDP), welche auf gesellschaftspolitischer Ebene für die Gleichheit aller Menschen eintritt, auf wirtschaftspolitischer Ebene hingegen den freien Markt und somit starke, oft willkürliche Hierarchiegefälle verteidigt. Wenn man nun versucht, die progressiven Themen mit den konservativen Themen der FDP aufzuwiegen oder zu verrechnen und auf Basis dessen die Partei auf einer eindimensionalen Skala einstuft, vereinfacht man die reellen Gegebenheiten soweit, dass das Ergebnis nur noch einen geringen Bezug zur Realität hat.

An diesem Beispiel kann man nachvollziehen, dass eine eindimensionale Links-Rechts-Einteilung nicht mehr der Realität entspricht, weswegen man davon absehen sollte, dieser Einordnung einen zu hohen Wert beizumessen.


Im Gegensatz zu der eindimensionalen Skala bringt ein mehrdimensionales Spektrum weitere Facetten für das Klassifizieren von politischen Einstellungen ins Spiel. Ein bekanntes Modell ist der politische Kompass mit einer Autoritarismus-Libertarismus-Achse in der Vertikalen sowie einer wirtschaftspolitischer Links-Rechts-Achse in der Horizontalen.

Political Compass nach nach Maurice C. Bryson und William R. McDill (1968)

Dieses Modell entspricht auf den ersten Blick schon eher unserer Realität. Es berücksichtigt die Mehrdimensionalität der Parteien und ermöglicht eine exaktere Einordnung der politischen Positionen. Die FDP könnte man somit schon wesentlich sinnvoller einsortieren. Durch ihre liberale Gesellschafts- und hierarchische Wirtschaftspolitik, lässt sie sich dem „Libertarian Right“-Bereich zuordnen.

Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass dieses Modell sich durch den Versuch, die komplexe Realität in eine Art Koordinatensystem zu abstrahieren, in unlösbare Widersprüche verwickelt, die in dem Begriff „Authoritarian Left“ gipfeln, welcher nichts Anderes als ein Paradoxon ist.


Unser paradoxes Verständnis von politischen Einstellungen

Warum ist dieser Begriff ein Paradoxon? Dafür ist es notwendig, die Ursprünge von links oder rechts, von progressiv oder konservativ, von liberal oder autoritär zu ergründen. Die Menschen vertreten nicht ohne Grund „progressive“, „konservative, „linke“ oder „rechte“ Ansichten. Der Ursprungspunkt, aus dem politische Einstellungen entstehen, ist die individuelle Frage, in welcher Ausprägung ein Mensch zum Egalitarismus, oder im Gegensatz dazu zum Elitarismus neigt.

Egalitarismus bezeichnet die Überzeugung, dass Menschen von Grund auf gleichwertig sind, und Faktoren wie Geschlecht, sexuelle Orientierung, Ethnie oder Geburtsumstände keinen negativen oder positiven Einfluss auf die individuellen Lebensumstände haben sollten. Im Gegensatz dazu, geht der Elitarismus von natürlichen und grundsätzlichen Wertunterschieden der Menschen aus – mit anderen Worten, manche Menschen sind weniger wert, als Andere.

Die generelle Ausprägung des Egalitarismus einer Gesellschaft schlägt sich unter Anderem in der Ausprägung der Demokratisierung der Gesellschaftsbereiche nieder. Je weniger demokratisches Mitbestimmungsrecht den Menschen in einer Gesellschaft eingeräumt wird, desto elitärer die Gesellschaft und desto unterschiedlicher die Wertzuschreibung, die individuelle Menschen erfahren.

Ersetzt man nun die Gegenüberstellung von links oder rechts durch egalitär oder elitär, woraus auch der damalige Konflikt zwischen dem französischen Adel und dem Bürgertum bestand (mit Égalité als zentrales Prinzip der Progressiven), erhält man ein sehr viel aufschlussreicheres Bild.

Der Ursprungspunkt, aus dem politische Einstellungen entstehen, ist die individuelle Frage, in welcher Ausprägung ein Mensch zum Egalitarismus, oder im Gegensatz dazu zum Elitarismus neigt.

Ausgehend von diesem Ursprungspunkt, ist „Autoritär Links“ ein Widerspruch in sich. Autoritär bedeutet nichts Anderes, als das Fordern von unbedingtem Gehorsam. In einer egalitären Gesellschaft gibt es so etwas wie unbedingten Gehorsam aber nicht, da gleichwertige Menschen jederzeit dazu berechtigt sind, ihr Gehorsam gegenüber anderen Menschen in Frage zu stellen.


Dieser Widerspruch ist aber nicht die alleinige Schuld dieses zweidimensionalen Spektrums. Vielmehr zeigt dieses Spektrum unser widersprüchliches Verständnis der Einordnung politischer Ansichten. Nimmt man als Beispiel die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), so lässt sich eine Zuordnung auf dem Politischen Kompass sehr wohl vornehmen. Die MLPD vertritt im Kern scheinbar egalitäre Grundwerte, verliert sich in der Umsetzung aber in Widersprüchen.

Ein demokratischer Zentralismus nach Lenin, welcher von der MLPD befürwortet wird, stellt einen hierarchisch-zentralistischen Aufbau eines Staates dar. Lenin unterdrückte früh nach der Revolution 1917 politische Kritik durch das Verbot von Fraktionen. Das Ergebnis war eine zentral-elitäre Einheitspartei, welche unbedingten Gehorsam des Proletariats einforderte – mit der Rechtfertigung, dass das Proletariat als revolutionäres Subjekt auf sich allein gestellt nicht das notwendige politische Bewusstsein entwickeln kann. Die MLPD lässt sich somit sehr wohl auf dem politischen Kompass einordnen – eben unter „Authoritarian Left“. Es wird offensichtlich: Nicht der Kompass ist widersprüchlich – wie wir Parteien und politische Einstellungen beurteilen, ist es.


Wie macht man es besser?

Nun stellt sich die Frage: Gibt es einen Weg, wie man widerspruchslos politische Einstellungen und Ideologien beurteilen und einsortieren kann?

Die Antwort ist: Ja, aber nicht auf einer Skala, nicht auf einem Kompass, nicht innerhalb eines Spektrums, sondern mittels der reinen Betrachtung, inwiefern politische Ansichten in bestimmten Gesellschaftsbereichen dem Leitbild des Egalitarismus oder dem Leitbild des Elitarismus entsprechen. Diese Gesellschaftsbereiche, wie zum Beispiel Gesellschaftspolitik, Wirtschaftspolitik oder Umweltpolitik, müssen klar definiert und gewichtet sein, und können nicht miteinander aufgewogen werden, da sie sich stets gegenseitig beeinflussen und voneinander abhängen.

Nun stellt sich die Frage: Gibt es einen Weg, wie man widerspruchslos politische Einstellungen und Ideologien beurteilen und einsortieren kann?

Platt gesagt, egalitäre Gesellschaftspolitik und elitäre Wirtschaftspolitik ergeben am Ende keine Politik der „Mitte“, so wie es bei einer Einordnung der FDP auf einer Links-Rechts-Skala suggeriert werden würde. Eine Einordnung auf dem Politischen Kompass hingegen würde der FDP ein hohes Maß an liberalen Grundwerten zuschreiben.

Hier stellt sich die Frage, inwiefern liberale Werte, also Freiheit, Sicherheit und Eigentum für jeden Menschen, unter dem Einfluss eines freien Marktes noch eingehalten werden können. Die Freiheit eines jeden Menschen ist maßgeblich von der Wirtschaftspolitik abhängig, weswegen Liberalismus unter einer elitären Wirtschaftspolitik (wenn er in letzter Konsequenz überhaupt möglich ist) ein gänzlich anderer als unter einer egalitären Wirtschaftspolitik ist. Dieser Einfluss von Wirtschaftspolitik wird aus dem Politischen Kompass aber nicht ersichtlich, da die Ausrichtungen „Economic Left“ und „Economic Right“ scheinbar ein selbes Maß an Liberalität genießen können.

Betrachtet man jedoch die einzelnen politischen Einstellungen der Parteien unter dem reinen Aspekt des Egalitarismus bzw. Elitarismus, gelingt eine Einordnung besser: Die FDP steht für einen freien Markt. Ein freier Markt basiert unter Anderem auf autoritär strukturierten Unternehmen und Zugangsbegrenzung zu Gemeingütern, und führt in letzter Konsequenz zur Geburtenlotterie, in der die gesellschaftlichen Verhältnisse, in die man hineingeboren wird, maßgeblich über den Wert entscheiden, der einem von der Gesellschaft als Mensch zugeschrieben wird. Die MLPD hingegen fordert für das Wohl der egalitären Revolution frei heraus autoritäre Gesellschaftsstrukturen. Und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) rechtfertigt Migrationsbegrenzung mit dem Schutz der Deutschen Arbeiterklasse und misst den inländischen Arbeitern somit einen höheren Wert bei, als den ausländischen.


Es wird offensichtlich, eine Einordnung von Parteien in das Links-Rechts-Schema oder auf einem Politischen Kompass sagt nicht zwangsläufig etwas über egalitäre oder elitäre Ansichten und Strömungen innerhalb der Parteien aus. Jedoch ist genau das der Maßstab, den man für die Beurteilung von politischen Einstellungen heranziehen sollte.


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Kommentare

Eine Antwort zu „Links vs. Rechts – Warum wir politische Einstellungen falsch einordnen“

  1. […] den Alltag eines jeden Bürgers hat: Die Wirtschaft. Sie könnte man neben (und abhängig von) der Politik als zweiten großen Teil eines Staates betrachten. Nun stellen sich die Fragen, wie sieht es mit […]

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