40 Stunden in der Woche, 252 Tage im Jahr, von 27-67 – so sieht das durchschnittliche Arbeitsleben eines Menschen in Deutschland aus. Mit anderen Worten, einen Großteil der besten Lebenszeit muss ein Mensch für Arbeit aufwenden.
Die Umstände, unter denen diese Arbeit stattfindet, sind dabei in der Regel alles andere als selbstbestimmt. Während ein Arbeitnehmer den Entscheidungen von höhere Hierarchiestufen ausgesetzt ist, wird sich der durch die Arbeit entstandende Mehrwert von den Profiteuren an der Hierarchiespitze angeeignet. Dabei sollte ein Mensch an aller erster Stelle für sich und das Gemeinwohl arbeiten können – nicht für Profiteure an der Spitze.
Ein Ansatz für mehr wirtschaftliche Selbstbestimmung sind demokratische Betriebe. Doch wie sehen diese in der Praxis aus?
Was zeichnet demokratische Betriebe aus?
In konventionellen Unternehmen sind die Rollen klar verteilt: Es gibt die Eigentümer, welche die Produktionsmittel besitzen und diese gewinnbringend einsetzen wollen. Dazu stellen sie Arbeitskräfte an, welche mit ihrer Arbeitskraft den Profit erzeugen – welcher widerrum dem Arbeitgeber bzw. den Besitzern zufließt. Die Arbeiter haben zudem kein Mitbestimmungsrecht. Die Geschäftsstrategie wird aus den Führungsetagen vorgegeben und von den unteren Hierarchiestufen umgesetzt. Der Fokus liegt dabei vor allem auf Profit-, nicht auf Gemeinwohlmaximierung.
In demokratischen Betrieben werden diese Prinzipien umgedreht: Arbeiter sind zugeich Besitzer, jeder wird am Gewinn beteiligt und die Hierarchie wird von unten demokratisch aufgebaut und legitimiert. Entscheidung über die Strategie oder Reinvestitionen von Einnahmen werden demokratisch getroffen. Letztendlich wird die klare Rollenverteilung, wie man sie aus konventionellen Unternehmen kennt, aufgehoben. Stattdessen ist jeder Mensch Besitzer und Arbeiter, Profiteur und Entscheider.
Eine komplette Demokratisierung aller Betriebe hätte zur Folge, dass es keine Profiteure mehr an der Spitze gäbe, und somit auch keine Kapitalakkumulation und -konzentration mehr möglich wäre. Im besten Fall könnte man gemeinsam entscheiden, wieder innerhalb der Grenzen unseres Planeten zu wirtschaften. Auch könnte man gemeinsam Armut und Elend verringern. Gleichzeitig würde das jedoch bedeuten, dass grenzenloser Reichtum und Macht für einzelne Individuen nicht mehr möglich wäre, weswegen eine Demokratisierung der Betriebe nicht im Interesse der Menschen in Machtpositionen ist.
Nichtsdesotrotz lohnt sich ein Blick auf die konkrete Umsetzung dieses Vorhabens, denn eins steht fest: Früher oder später werden wir eine Alternative zu unserem aktuellen Wirtschaftssystem benötigen.
Wie können demokratische Betriebe organisiert sein?
Für demokratische Betriebe gibt es verschiedene Organisationsmodelle, welche sich in Partizipationsgrad und Flexibilität unterscheiden. Wir wollen im Folgenden ausgewählte Modelle genauer unter die Lupe nehmen.
Likert-System
Das Likert-System wurden von dem amerikanischen Sozialpsychologen Rensis Likert entwickelt. Insgesamt entwickelte Likert eine Reihe von vier Organisationsmanagementstilen. Diese Stile reichen von System 1 (ausbeuterisch-autoritär) bis System 4 (partizipative Gruppe).
In System 4 werden die Mitarbeiter vollständig an der Entscheidungsfindung der Führung beteiligt. Die Macht und Verantwortung zur Erreichung der Ziele der Organisation wird auf alle Mitarbeiter in der Organisation verteilt.
Das Unternehmen ist dabei in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Die Mitglieder einer Gruppe organisieren sich selbst und beschliessen Entscheidungen im Kollektiv. Der partizipative Führungsstil fördert die Motivation der Mitarbeitenden und deren Identifikation mit der Arbeit.
Das Likert-System geht also weiterhin von einem starken Hierarchiegefälle aus, möchte innerhalb dieser Hierarchie aber die Selbstbestimmung und Dezentralisierung fördern. Verbindet man diesen Ansatz mit einer gleichzeitigen Beteiligung aller Mitglieder an Produktionsmitteln und Gewinn, und würde man demokratische Kontrollmechanismen für die interne Hierarchie einrichten, wäre demokratisches Wirtschaften durchaus möglich. Bei einem starken Hierarchiegefälle bliebe aber das übliche Risiko von Machtkonzentration und -missbrauch.
Holakratie
Die Holakratie – aus dem Altgriechischen übersetzt „vollständige Herrschaft“ – wurde von dem Unternehmer Brian Robertson aus Philadelphia auf Basis der Soziokratie entwickelt und hat als Organisationsmodell im Gegensatz zum Likert-System das Ziel des Abbaus von Hierarchien.
Alle Beschäftigten treffen eigenständig Entscheidungen. Sie haben keine Funktionen wie Bereichsleiter, sondern bringen sich gleichwertig als Experten für einzelne Aufgaben ein. An die Stelle hierarchischer Organisation rücken miteinander verzahnte Kreise, die selbstständig agieren.
Elementar für die Holakratie sind Partizipation und Transparenz durch alle Entscheidungsebenen. Alle Mitarbeitenden eines Unternehmens können sich daran beteiligen, die Organisation zu verändern.
Ähnlich wie das Likert-System wäre auch mit der Holakratie demokratisches Wirtschaften möglich. Durch den Abbau sämtlicher Hierarchien unterläge das Organisationsmodell jedoch dem Risiko der Herausbildung informeller Hierarchien, welche demokratische Prozesse unterlaufen würden.
Soziokratie 3.0
Die Soziokratie 3.0 stellt sich als Weiterentwicklung der Holakratie dar und ist vor allem eine Methode der Selbstverwaltung. Sie ermöglicht es Teams, autonom zu handeln und die Entscheidungsgewalt zu dezentralisieren.
Es handelt sich dabei nicht um ein ganzheitliches Organisationsmodell, sondern um eine Sammlung von Prinzipien und Mustern, welche es ermöglichen, Probleme durch schrittweise Veränderung und unter Einbezug der kollektiven Intelligenz einer Gruppe anzugehen. Das Fundament bilden die 7 Prinzipien „Kontinuierliche Verbesserung“, „Transparenz“, „Verantwortlichkeit“, „Empirismus“, „Konsent“, „Gleichstellung“ und „Effektivität“.
Wir haben es hier also eher mit Leitfäden und Hilfestellungen zu tun, welche nicht zwingend demokratische Strukturen garantieren, jedoch selbstbestimmte Zusammenarbeit fördern können.
Was sind die Hürden für die Demokratisierung von Betrieben?
Die theoretischen Modelle für demokratische Betriebe existieren – sind in der Praxis jedoch selten zu finden. Welche Gründe könnte das haben?
Sattelberger et al. widmeten sich in ihrem Buch „Das demokratische Unternehmen“ mit einer Umfrage den möglichen Hindernissen für demokratische Unternehmen. Die größten Hindernisse laut dieser Studie: Transparenz, Kapitalbeteiligung, Wahlen und Betriebsordnung.
Die Autoren stellen fest, dass klassische Unternehmen und Gesellschaften wie die AG aufgrund der Kapitalinteressen nicht dafür gemacht sind, demokratisch Vorgesetzte zu wählen. Hier ist also laut den Autoren ein grundlegender Strukturwandel nötig.
Es muss unterschieden werden, was genau demokratisiert wird: Nur die Entscheidungsstrukturen, oder auch die Besitzverhältnisse, also das Unternehmen an sich. Während ersteres sicherlich auch auf das Interesse von Produktionsmittelbesitzern stoßen könnte – sollte dadurch die Aussicht auf Produktivitätssteigerung bestehen – so würde zweiteres einer Enteignung gleichkommen. Eine realistische Möglichkeit besteht in diesem Fall wohl eher darin, neue demokratische Unternehmen zu gründen und durch gemeinsames Wirtschaften die Marktmacht der hierarchisch-autoritären Unternehmen zu verringern.
Die Demokratisierung der Betriebe und der Wirtschaft scheint aktuell unrealistisch. Doch auch die Etablierung einer politischen Demokratie erschien in früheren Diktaturen unmöglich – und trotzdem wurde es erreicht. Zudem gibt es bereits erfolgreiche Beispiele wie Mondragon in Spanien.
Wir stehen aktuell an einem Punkt, an dem man unser Wirtschaftssystem längst hätte hinterfragen müssen – stattdessen wird auf Kosten von Mensch und Umwelt weitergemacht.
Die weitere Entwicklung lässt sich schwer vorhersagen. Eins steht jedoch fest: Unsere aktuelle Art und Weise des Wirtschaftens wird früher oder später ausgedient haben. Und wenn es soweit ist, hat man am besten gute Alternativen im Gepäck.
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