„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von
Klassenkämpfen“. Mit diesem Satz begannen Friedrich Engels und Karl Marx 1848 das Manifest der Kommunistischen Partei, welches in den folgenden beiden Jahrhunderten bis heute einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Menschheit ausübte. Es schenkte der unterdrückten Bevölkerungsschicht Hoffnung auf eine bessere Zukunft, war Ausgangspunkt für neue politische Ideologien und revolutionäre Bewegungen, wurde aber gleichzeitig von verschiedenen Staatsoberhäuptern zur Legitimierung der Errichtung einer Diktatur genutzt.
Heute lässt sich festhalten, die globalen Versuche einer marxistischen Revolution sind gescheitert. Doch die grundlegenden Probleme und Anliegen, die Marx und Engels beschreiben, sind aktuell wie nie zuvor. Die Menschheit steht vor eine Gesellschaft, in der die Gleichwertigkeit der Menschen abnimmt. Während im gesellschaftspolitischen Bereich bei der Gleichstellung der Geschlechter, Ethnien und sexueller Orientierungen einige Fortschritte zu erkennen sind, geht wirtschaftlich betrachtet die weltweite Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander.
Obwohl eine aktuelle Betrachtung der gesellschaftlichen Klassen differenzierter ausfallen sollte, als noch vor knapp 200 Jahren, lässt sich trotzdem eine vereinfachte Zweiteilung vornehmen: Es gibt auf der einen Seite Menschen, die keinen oder nur geringen Besitz haben, sodass sie täglich ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um ihre grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. Und auf der anderen Seite stehen Menschen, die so viel Besitz haben, dass sie durch den Einsatz dieses Besitzes (zum Beispiel Geld als Kapital in Fonds) automatisch Einnahmen generieren können, selber nicht dazu gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, und gleichzeitig ihr Vermögen weiter vermehren können. Kurz gesagt, auf der einen Seite stehen Menschen, die durch ihre Arbeitskraft das System am Laufen halten, und auf der anderen Seite stehen Menschen, die von dieser Arbeitskraft profitieren – und beide Klassen haben durch den ständigen Verteilungsstreit über das Vermögen gegensätzliche Interessen.
Erschwerend kommt in diesem Jahrhundert hinzu, dass die schwerwiegenden Umweltfolgen spürbar werden, die das ständige Profitstreben der profitierenden Gesellschaftsklasse hervorruft. Der Wachstumszwang, welcher diesem System inhärent zugrunde liegt, wird uns einen zerstörten Planeten hinterlassen. Insofern ist das Ziel von Engels und Marx – das Aufheben von ausbeuterischen Strukturen – heute keine idealistische Frage mehr, sondern eine Frage des Überlebens.
Auf der einen Seite stehen Menschen, die durch ihre Arbeitskraft das System am Laufen halten, und auf der anderen Seite stehen Menschen, die von dieser Arbeitskraft profitieren.
Wir brauchen Lösungen. Doch gleichzeitig ist Vorsicht geboten, denn, so dringend Lösungen gebraucht werden, sie sollten nicht zu Lasten unserer Demokratie gehen, welche durch eine hohe Opferbereitschaft von Generation zu Generation aufgebaut wurde. Alle Bestrebungen, einen Marxismus politisch zu etablieren, endeten im Abbau oder Unterdrücken von demokratischen Strukturen. Deswegen soll dieser Beitrag einen Denkanstoß für einen alternativen Weg geben, der unsere demokratischen Strukturen nicht in Frage stellt, sondern diese ganz im Gegenteil als einzige Lösung für unser Problem betrachtet.
Das Kommunistische Manifest
Den Anstoß für zahlreiche Revolutionen mit dem Ziel der Aufhebung gesellschaftlicher Unterdrückung und der Befreiung der Arbeiterklasse gab das Manifest der Kommunistischen Partei von Karl Marx. Dieses politische Pamphlet beschrieb eindrücklich die aktuellen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten sowie die Utopie des Kommunismus. „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“ und „Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“ gingen als geflügelte Worte in die Weltgeschichte ein.
Das Kommunistische Manifest lässt sich durchaus als politisches Programm beschreiben, jedoch ist es keine geschlossene politische Ideologie. Diese entstanden erst im Nachhinein in Form des Marxismus-Leninismus, Stalinismus, Maoismus oder auch Castroismus. Es handelt sich hierbei um staatliche Legitimationsideologien, welche den Marxismus benutzt haben, um den Aufbau von stark zentralisierten und hierarchischen Staaten ohne nennenswerte demokratische Strukturen zu rechtfertigen. Diese Staaten befinden sich heute im Zustand des Staatskapitalismus.
Wie konnten nun aus dem Ideal einer herrschaftsfreien Welt unterdrückerische Diktaturen im Namen des Kommunismus entstehen?
Im ersten Abschnitt des Kommunistischen Manifests „Bourgeois und Proletarier“ beschreiben Engels und Marx vor allem die Entwicklung unserer gesellschaftlichen Klassen in einer Reihe von Umwälzungen in der Produktions- und Verkehrsweise, aus der letztendlich der Kapitalismus entstanden ist. „Die wesentliche Bedingung für die Existenz und für die Herrschaft der Bourgeoisklasse ist die Anhäufung des Reichtums in den Händen von Privaten, die Bildung und Vermehrung des Kapitals“. Die Antwort auf diese endlose Anhäufung an Reichtum sollen die Kommunisten im darauffolgenden Abschnitt „Proletarier und Kommunisten“ geben.
Der erste Schritt in der Arbeiterrevolution sei die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, zur Erkämpfung der Demokratie. Dann wird „das Proletariat seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen„. Es folgt eine Liste an Maßregeln, die allgemein in Anwendung kommen können. Diese Liste lohnt es sich mit Blick auf die daraus entstandenen antidemokratischen Staaten genauer anzuschauen.
In einem gewissen Maß durchaus unbedenklich und sinnvoll sind die Punkte „Starke Progressivsteuer“, „Öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder“ und „Abschaffung des Erbrechts“. Diese Maßnahmen würde den Kapitalismus nicht beenden, aber für deutlich weniger gesellschaftliche Ungleichheit sorgen. Radikaler und tiefgreifernder wird es, wenn sich Engels und Marx der direkten Umverteilung der gesellschaftlichen Produktionsmittel widmen, unter anderem mit den Punkten:
- „Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben“
- „Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen“
- „Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol“
- „Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staats.“
Die zentrale Aussage ist, dass Privateigentum verstaatlicht werden muss, um zusammen eine solidarische, kooperative Wirtschaft aufzubauen. Marx und Engels treten offen für demokratische Verhältnisse ein (präziser beschrieben für eine Räterepublik ohne Gewaltenteilung) und hatten mit diesen Maßregelungen sicherlich nicht das Erschaffen von diktatorischen Staaten im Sinne. Dennoch ist genau dies geschehen.
Macht das diese Maßregeln obsolet? Nein. Es bedarf aber einer klaren Beschreibung der Umstände, unter denen diese Maßnahmen zum Erfolg führen können. Geschieht dies nicht, führt eine Umsetzung dieser Maßnahmen nicht zu einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel, sondern sie wandern von einem kleinen elitären Kreis zum nächsten, und die Macht bleibt weiterhin konzentriert.
Bezeugen konnte man das am Aufstieg und Fall der Sowjetunion. Sie war ein von der Kommunistischen Partei zentralistisch regierter Einparteienstaat. Im November 1917 übernahmen die Bolschewiki die Macht im Land und vereinten die Produktionsmittel auf sich. Sie sahen sich als Vertreter der Arbeiterklasse und strebten danach, einen kommunistischen Staat zu errichten.
In der Praxis ließen jedoch sowohl Lenin als auch Stalin andersdenkende Menschen verfolgen, verboten die Opposition und installierten durch ihren propagierten Demokratischen Zentralismus autokratische Strukturen. Es wurde eine neue parlamentarisch-bürokratische Diktatur über die Köpfe der Bevölkerung hinweg etabliert, mit einer neuen bürokratischen Elite, welche die Produktionsmittel auf sich vereinte.
Unter den falschen Umständen führt eine Umsetzung nicht zu einer Vergesellschaftung der Produktionsmittel, sondern sie wandern von einem kleinen elitären Kreis zum nächsten und die Macht bleibt weiterhin konzentriert.
Von einer egalitären Gesellschaft kann hier kaum die Rede sein. Die Sowjetunion war nie in einem Zustand, in dem man eine tatsächliche Vergesellschaftung der Produktionsmittel hätte erreichen können. Gleiches gilt für China, Kuba und die weiteren „Realsozialistischen Staaten“, welche einen ähnlichen Weg gingen.
Es stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und welchen Weg man für eine nachhaltige Demokratisierung der Gesellschaft gehen muss. Auf diese Fragen gibt es keine Anleitung mit Erfolgsgarantie. Aber es lassen sich verschiedene Ansätze skizzieren:
Ein radikaldemokratischer Umschwung
Die oberste Maxime einer Entwicklung hin zu einer egalitären Gesellschaft muss die Wahrung und Förderung demokratischer Strukturen sein. Eine Revolution, die die Machtkonzentration von einer kleinen Gruppe auf eine andere kleine Gruppe überträgt, ist umsonst. Nur ein gesellschaftlicher Umschwung, der breite Bevölkerungsschichten mitnimmt und Macht und Ressourcen auf viele verschiedene Schultern verteilt, wird eine nachhaltige positive Auswirkung zeigen. Welche Schritte dafür gegangen werden können, wird im Folgenden erläutert:
Schritt 1: Etablierung und Wahrung demokratischer Prinzipien
Der erste Schritt ist zugleich die Grundlage, auf der alle weiteren Entwicklungen geschehen müssen: Das Etablieren, Wahren und Ausbauen von demokratischen Prinzipien.
An erster Stelle stehen dabei die unantastbaren Menschen- und Bürgerrechte, welche erstmals, basierend auf den Gedanken von Montesquieu und Rousseau, in Form des Bill of Rights und der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen 1789 in den USA und Frankreich festgehalten wurden.
Darauf basierend muss das Prinzip der Gewaltenteilung nach Legislative (Gesetzgebung), Exekutive (Regierung, Verwaltung) und Judikative (Rechtssprechung) etabliert sein. Marx und Engels sprachen sich zwar für eine Rätedemokratie ohne Gewaltenteilung aus, jedoch kann die (zu frühe) Aufhebung dieser Teilung erhebliche Risiken der Machtkonzentration mit sich bringen. Heutzutage ist Gewaltenteilung eine Grundlage der demokratischen Ordnung und schränkt diejenigen an der politische Macht darin ein, ihre Macht zu missbrauchen.
Die Grundlage, auf der alle weiteren Entwicklungen geschehen müssen: Das Etablieren, Wahren und Ausbauen von demokratischen Prinzipien.
Die daraus entstehende Präsidialdemokratie oder Parlamentarische Demokratie mit einem direkt oder indirekt vom Volk gewählten Präsidenten und Kongress bzw. Parlament als Legislative ist die Form eines demokratischen Staates, die sich weltweit durchgesetzt hat. Jedoch hat diese System mit Problemen zu kämpfen, wie eine Analyse in der Bundeszentrale für politische Bildung festellt:
„Die Rede ist etwa von einer akuten Repräsentationskrise und dass das Verhältnis von Regierenden und Regierten (…) umkippe in Misstrauen und Verdruss. Volksparteien verlieren Mitglieder und Stammwähler, soziale Milieus „ganz oben“ und „ganz unten“ nehmen nicht mehr an Wahlen teil.
Die politische Beteiligung verlegt sich auf die Straße, das politische Klima polarisiert sich, viele haben sich desillusioniert vom politischen Betrieb abgewandt und kommentieren ihn zynisch. Populisten adressieren „das Volk“ als ihre Basis und richten es gegen das „Establishment“ aus – gegen die Parteien, das Parlament, die Regierung, auch die Medien und selbst gegen Gerichte. Völkisch-autoritäre Nationalisten stellen „das Volk“ über das bestehende Recht und zerstören, wo sie an der Macht sind, die Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative.
Diese Trends summieren sich weltweit zu demokratischen Regressions- und Krisentendenzen.“
Der Verlust von bereits etablierten demokratischen Strukturen und Prinzipien würde den Weg hin zu einer egalitären Gesellschaft versperren. Deswegen ist es von höchster Relevanz, über Möglichkeiten zu diskutieren, wie wir unsere aktuelle Staatsdemokratie festigen, verbessern und für eine übergreifende Beteiligung über alle Bevölkerungsschichten hinweg garantieren können.
Ein Ansatz besteht in der Etablierung von gelosten Bürgerräten. Schon Aristoteles beschrieb das Losen als demokratische Weise der Auslese von politischem Personal: „So gilt es, wie ich sage, für demokratisch, dass die Besetzung der Ämter durch das Los geschieht, und für oligarchisch, dass sie durch Wahl erfolgt (…)“. Die Bürgerräte sollen die politischen Entscheidungsträger beraten und damit das repräsentativ-demokratische System um partizipative und deliberative Elemente ergänzen (es aber keineswegs ersetzen).
In Deutschland wurde des Konzept bereits mit einem vom Parlament eingesetzten Bürgerrat getestet. 160 Bürger diskutieren, wie sehr der Staat in die Ernährung eingreifen darf. Die am Ende erarbeiteten Handlungsempfehlungen landen unverbindlich im Bundestag. Das Parlament darf von Bürgerräten nicht übergangen werden, jedoch sollte es dazu verpflichtet werden, sich mit dem erarbeiteten Antrag öffentlichkeitswirksam auseinanderzusetzen.
Es ist von höchster Relevanz, über Möglichkeiten zu diskutieren, wie wir unsere aktuelle Staatsdemokratie festigen, verbessern und für eine übergreifende Beteiligung über alle Bevölkerungsschichten hinweg garantieren können.
Ein weiterer Impuls für die Stärkung unseres demokratischen Staatssystems könnten durch das Los ermittelte Losabgeordneten sein. Sie erhielten kein Stimmrecht bei Gesetzgebung und Regierungsbildung, aber könnten alle Mittel des Parlaments nutzen, um an der Gesetzgebung mitzuwirken. Die Losabgeordneten würden zudem über einen professionellen Beraterstab verfügen, der ihnen hilft, sich in die parlamentarische Arbeit einzuarbeiten. Dieses Verfahren könnte auf lange Sicht eine breite Repräsentation über alle denkbaren wahlberechtigten Bevölkerungsgruppen hinweg garantieren.
Neben den hier erwähnten Beispielen gibt es noch viele weitere Ansätze, zum Beispiel das Fördern von direktdemokratischen Elementen, oder die verstärkte Umsetzung von town hall meetings.
Befindet sich ein Staat nun im Zustand eines stabilen und partizipativen demokratischen Systems, so ist der erste Schritt getan. Die Bemühungen für eine egalitäre Gesellschaft dürfen jedoch beim Staatssystem nicht aufhören. Denn trotz eines weitreichenden demokratischen Staatssystems kann es in der Realität zu undemokratischen Verhältnissen kommen.
Eine Studie der Princeton University stellte schon vor zehn Jahren fest, dass die USA einer Oligarchie gleichen:
„Die Amerikaner genießen viele Merkmale, die für eine demokratische Regierungsführung von zentraler Bedeutung sind, wie regelmäßige Wahlen, Meinungs- und Vereinigungsfreiheit und ein weit verbreitetes Wahlrecht. Aber wir glauben, dass Amerikas Anspruch, eine demokratische Gesellschaft zu sein, ernsthaft bedroht ist, wenn die Politik von mächtigen Wirtschaftsorganisationen und einer kleinen Anzahl wohlhabender Amerikaner dominiert wird.“
Allgemein formuliert bedeutet das, dass in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem das demokratische Staatssystem von Kapitalinteressen unterwandert und zum Vorteil der herrschenden bzw. wirtschaftlich profitierenden Klasse instrumentalisiert wird. Die Betrachtung darf sich also nicht nur auf das Staatssystem beschränken, sondern muss auf das Wirtschaftssystem ausgeweitet werden, womit wir bei Schritt 2 wären.
Schritt 2: Demokratisierung der Volkswirtschaft
Marx und Engels dachten, die Ungleichheiten unseres Wirtschaftssystems durch die Enteignung der Bourgeoisie und die vorübergehende Diktatur des Proletariats überwinden zu können. Dieser Gedanke birgt, wie am Anfang beschrieben, die Gefahr, dass die Machtkonzentration von einem elitären Kreis zum anderen wandert.
In einem kapitalistischen Wirtschaftssystem wird das demokratische Staatssystem von Kapitalinteressen unterwandert und zum Vorteil der herrschenden Klasse instrumentalisiert.
Eine erfolgsversprechendere Alternative könnte hingegen die schrittweise Demokratisierung der Wirtschaft eines Staates sein – angefangen bei der Volkswirtschaft.
Wir befinden uns aktuell in einem Zustand, in dem sowohl die Wirtschaftspolitik als auch die Finanzpolitik nicht den Menschen, sondern den Märkten dient und somit die schrittweise steigende wirtschaftliche Ungleichheit weiter vorantreibt. Sämtliche volkswirtschaftlich relevante Politik ist heute dem Glaubenssatz des längst widerlegten Monetarismus unterworfen: Die Selbstregelungskraft des Marktes über Angebot und Nachfrage und die Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank. Weitere staatliche (und somit demokratisch legitimierte) Eingriffe in die Wirtschaft werden auf ein Minimum beschränkt, der Staat dient als Überwacher des Marktes und darf nicht als Gestalter auftreten.
Dieses ideologische Festhalten am Monetarismus ist unter anderem für die Schuldenbremse verantwortlich, welche im Jahre 2023 demokratisch legitimierte Investitionen in Klimaschutz verhinderte, sowie unabhängige Zentralbanken, die sich zum Teil unserem demokratischen Einfluss entziehen können.
Wir brauchen also eine Kehrtwende – weg vom Monetarismus, welcher den oberen 10% dient, da er ihnen die Märkte schützt, von denen sie profitieren und für weitere Privatisierungen sorgt – hin zu einer demokratisch legitimierten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das wirtschaftliche Handeln eines Staates darf nicht zu Gunsten der Märkte entdemokratisiert werden.
Eine Option wäre, Wirtschafts- und Finanzpolitik auf Basis von Prinzipien der Modern Monetary Theory zu betreiben. Die MMT tritt dafür ein, dass der Staat als Wirtschaftsakteur auftreten und mit seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik aktiv zum Wohlbefinden der Bürger beitragen kann. Sie lehnt Einschränkungen der demokratischen Souveränität der Bürger im Sinne des „Schutzes“ der Märkte ab und plädiert für staatliche Investitionen, um Vollbeschäftigung herzustellen.
Wie die MMT im Detail funktioniert, wird in diesem Beitrag beschrieben. Ein kurzer Auszug:
„Durch die MMT könnte man durch umfängliche Auslastung der staatlichen Produktionskapazitäten für Vollbeschäftigung sorgen. Die Folge wäre eine deutliche Verringerung der Armut und Obdachlosigkeit.
Im allgemeineren Sinne bedeutet die MMT eine Demokratisierung der Volkswirtschaft. Denn ein souveräner Staat, der als einflussreicher Wirtschaftsakteur in Erscheinung tritt, kann die Volkswirtschaft nach demokratisch legitimierten Kriterien gestalten – was vom aktuell vorherrschenden Monetarismus verhindert wird.
Warum wird die MMT vom Mainstream größtenteils abgelehnt?
Ein (..) Grund wäre, dass das aktuelle wirtschaftspolitische Handeln ganz bewusst an unzureichenden Theorien ausgerichtet wird. Haben Menschen in Macht- und Profitpositionen in unserem kapitalisitschen System tatsächlich Interesse daran, durch eine intelligente Finanz- und Wirtschaftspolitik für Armutslosigkeit und Vollbeschäftigung zu sorgen? Oder ist eine gewisse Arbeitslosigkeits- und Obdachlosigkeitsquote sogar erwünscht, um unsere menschenfeindliche Leistungsideologie und vor allem den eigenen Klassenstatus zu festigen?
Die Umsetzung ist mit komplexen Herausforderungen verbunden. Nicht zuletzt ist die MMT stets der Bekämpfung durch klassische Ökonomen und aktuelle Politiker ausgesetzt. Die potentiellen positiven Effekte, welche diese neuen Ansätze mit sich bringen, sind aber den Einsatz für ein Umdenken wert.„
Die Demokratisierung der Volkswirtschaft, bzw. das Betreiben von Wirtschafts- und Finanzpolitik basierend auf demokratischer Legitimation und nicht einzig und allein ausgerichtet auf das Bedürfnis der Märkte, wäre ein großer Schritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft. Dafür ist die Etablierung und Wahrung eines demokratischen Staatssystems, wie in Schritt 1 beschrieben, von oberster Priorität. Die MMT ist lediglich eine Theorie, an welcher Politiker ihr Handeln auf Basis des demokratischen Willens der Bevölkerung ausrichten können. Dies gilt es einzufordern, denn wir brauchen Wirtschafts- und Finanzpolitik für die Menschen und nicht für die Märkte.
3. Demokratisierung der Betriebswirtschaft
Ist die Volkswirtschaft auf dem Weg der Demokratisierung, so kann sich in Schritt 3 der Demokratisierung der Betriebswirtschaft zugewandt werden. Dieser Schritt ist der entscheidende Schritt hin zu einer egalitären Gesellschaft. Jeder Mensch muss nicht nur formal gleiche Partizipationsmöglichkeiten haben („one man, one vote“), sondern auch die gleichen Möglichkeiten, sich in Entscheidungsprozesse einzubringen. Um den Menschen diese Möglichkeit zu geben, müssen die Machtgefälle, welche durch Besitz, also Kapitalakkumulation, entstehen, abgebaut werden. Nur wenn die Produktionsmittel und Gemeingüter eines Landes in den Händen der breiten Masse liegen und demokratisch darüber entschieden werden kann, leben wir in einer gleichberechtigten Gesellschaft.
Ein Weg, wie die Produktionsmittel innerhalb des Grundgesetzes demokratisiert werden können, ist die Gründung von demokratischen Betrieben (z.B. Genossenschaften) und die anschließende Gewinnung von Marktanteilen gegenüber hierarchisch-autoritären Privatkonzernen. Wie diese demokratischen Betriebe organisiert sein können, ist in diesem Beitrag beschrieben. Ein kurzer Auszug:
„In konventionellen Unternehmen sind die Rollen klar verteilt: Es gibt die Eigentümer, welche die Produktionsmittel besitzen und diese gewinnbringend einsetzen wollen. Dazu stellen sie Arbeitskräfte an, welche mit ihrer Arbeitskraft den Profit erzeugen – welcher widerrum dem Arbeitgeber bzw. den Besitzern zufließt. Die Arbeiter haben zudem keine Mitbestimmungsrecht. Die Geschäftsstrategie wird aus den Führungsetagen vorgegeben und von den unteren Hierarchiestufen umgesetzt. Der Fokus liegt dabei vor allem auf Profit-, nicht auf Gemeinwohlmaximierung.
In demokratischen Betrieben werden diese Prinzipien umgedreht: Arbeiter sind zugeich Besitzer, jeder wird am Gewinn beteiligt und die Hierarchie wird von unten demokratisch aufgebaut und legitimiert. Entscheidung über die Strategie oder Reinvestitionen von Einnahmen werden demokratisch getroffen. Letztendlich wird die klare Rollenverteilung, wie man sie aus konventionellen Unternehmen kennt, aufgehoben. Stattdessen ist jeder Mensch Besitzer und Arbeiter, Profiteur und Entscheider.„
Dieses Vorhaben kann jedoch realistischerweise nur mit starker politischer Unterstützung erreicht werden.
Zum einen muss die fortschreitende Monopolisierung unserer Wirtschaft gestoppt werden, indem Konzerne entflochten werden. Das bedeutet, dass Unabhängigkeit zwischen verschiedenen Geschäftsfeldern eines Konzerns wiederhergestellt und gestärkt wird, basierend auf gesetzlichen und regulierungsbehördlichen Vorgaben (z.B. Wettbewerbs- oder Kartellrecht).
Nur wenn die Produktionsmittel und Gemeingüter eines Landes in den Händen der breiten Masse liegen und demokratisch darüber entschieden werden kann, leben wir in einer gleichberechtigten Gesellschaft.
Zum anderen muss der Staat privatisierte kritische Infrastruktur und Dienstleistungen, wie Altersvorsorge, Banken und Transportwesen wieder in Staatseigentum zurückführen. Auch das ist unter den richtigen Bedingungen vom Grundgesetz gedeckt.
Vor allem aber muss die staatliche Wirtschaftspolitik das Gründen und Betreiben von demokratischen Betrieben durch starke Subventionierung fördern. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die eine graswurzelartige Demokratisierung des Marktes von unten ermöglichen. Am Beispiel von Mondragon in Spanien kann man sehen, dass die Eroberung von Marktanteilen durch genossenschaftliches Wirtschaften keine Unmöglichkeit ist.
Je größer der Anteil von demokratischen Betrieben an der Wirtschaft ist, welche gute Arbeitsbedingungen und eine gerechte Gewinnbeteiligung aller Mitglieder bieten, desto mehr Menschen werden die Vorzüge dieser Konzeption bemerken und sich anschließen – ein selbstverstärkender Prozess. Am Ende ist das Ziel, dass alle Menschen sowohl mitentscheiden, als auch mitbesitzen. So würden die starken und willkürlichen Hierarchiegefälle unserer aktuellen Gesellschaft abgebaut und unser demokratisches Staatssystem nicht mehr von privaten Kapitalinteressen unterwandert werden.
Ausstieg aus Wachstumszwang
Sind diese drei Schritte umgesetzt, befindet sich die Gesellschaft in einem annähernd komplett durchdemokratisierten Zustand und kann gemeinsam, solidarisch und kooperativ wirtschaften, da Reichtum und Macht auf viele verschiedene Schultern aufgeteilt sind.
Es müssen nun Mechanismen etabliert werden, welche die Reakkumulation und -konzentration von Kapital und somit die Entdemokratisierung der Produktionsmittel verhindern – ähnlich wie es Mechanismen gibt, die den Abbau von demokratischen Strukturen unseres Staatssystems verhindern (z.B. Parteiverbotsverfahren).
Erreicht die Gesellschaft einen langfristig stabilen Zustand in diesem System, kann zusammen entschieden werden, dass wir nicht mehr einem unendlichen Wirtschaftswachstum hinterher jagen, sondern innerhalb der planetaren Grenzen wirtschaften und die fortschreitende Zerstörung der Umwelt und des Klimas stoppen.
Ist das alles überhaupt realistisch?
Die hier beschriebenen Schritte hin zu einer egalitären Gesellschaft stellen keinen tatsächlichen Plan dar – sie sollen als Denkanstoß dienen, dass die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft leben und wirtschaften, nicht in Stein gemeißelt ist.
Fest steht, die Probleme, die auf die Menschheit zukommen, insbesondere der Klimawandel, können im Sinne der Mehrheit nur durch eine fortschreitende Demokratisierung aller gesellschaftlichen Verhältnisse überwunden werden. Um das erreichen zu können, ist die Initiative eines jeden Einzelnen gefragt.
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