In den letzten Jahrhunderten hat der Kapitalismus in vielen Teilen der Welt zu einem enormen Wirtschaftswachstum und zur Schaffung von Wohlstand geführt. Gleichzeitig sorgt das System für eine große Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft und zwischen verschiedenen Ländern. Auf der einen Seite herrscht bittere Armut, auf der anderen Seite ausufernder Reichtum. Es bildet sich ein kleiner Kreis an vermögenden Personen, die über beträchtliche Ressourcen verfügten.
Im 19. Jahrhundert entstand auf Basis dieser Umstände das Ideal des wohltätigen Multimilliardärs, welcher sich den gesellschaftlichen Problemen annimmt und einen beträchtlichen Teil seines Vermögens für das Allgemeinwohl einsetzt. Scheint dieser Ansatz auf den ersten Blick ehrbar, so werden bei näherer Betrachtung bedenkliche antidemokratische Prinzipien sichtbar.
1889 verfasste der Stahlmagnat Andrew Carnegie ein Plädoyer für Philanthropie: im „Gospel of Wealth“ argumentierte er, dass Reichtum eine Verantwortung und eine Chance sei, Gutes zu tun. Reichtum ist kein bloßer persönlichen Besitz, sondern Mittel, um der Gesellschaft zu „dienen“. Reiche sollen nicht in einem Leben des Luxus schwelgen, sondern einen Teil ihres Reichtums für gemeinnützige Zwecke verwenden. Die Förderung von Bildung, Bibliotheken, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen durch private Multimilliardäre könne der Gesellschaft als Ganzes helfen. Letztendlich sei die Akkumulation von Reichtum natürlich und notwendig, aber bringt die Pflicht, den Reichtum für das Gemeinwohl einzusetzen.
Die Ideologie der Philanthropie
Welche Ideologie steckt hinter diesem Essay?
Carnegie argumentiert, dass anstatt Reichtum von Anfang an gerecht zu verteilen, ein kleiner Kreis an Menschen, welche durch wirtschaftliche Aktivitäten oder schlichtes Erben an überdurchschnittlichen Wohlstand gelangt sind, darüber entscheiden soll, welche Ausgaben für welche Zwecke angemessen sind.
Die Philanthropie der Multimilliardäre basiert also auf einer aristrokratischen Ideologie – die Herrschaft einer dynastisch legitimierten Gruppe. Im Fall der Superreichen sind die Mitglieder dieser Gruppe meist weiß und männlich. Diese Ideologie birgt ein fragwürdiges Menschenbild, da sie impliziert, dass Menschen, insofern sie nicht zur Elite gehören, in ihrer Entscheidungsmacht über gesellschaftliche Fragen stark eingeschränkt sein sollten – eine Entmündigung zu ihrem eigenen Wohl.
Diese Ideologie ist bis in die heutige Zeit weit verbreitet. 2010 starteten die Multimilliardäre Bill Gates und Warren Buffett die Kampagne „The Giving Pledge“, welche stark von Carnegies Gospel of Wealth inspiriert ist. Es handelt sich um eine Initiative, bei der reiche Menschen öffentlich versprechen, mindestens die Hälfte ihres Vermögens für wohltätige Zwecke zu spenden. Viele Milliardäre schlossen sich der Kampagne an und begannen, einen beträchtlichen Teil ihres Reichtums für philanthropische Zwecke einzusetzen.
Die Philanthropie der Multimilliardäre basiert auf einer aristrokratischen Ideologie – die Herrschaft einer dynastisch legitimierten Gruppe.
Die Superreichen treten freiwillig etwas von ihrem Wohlstand ab? Wie nett!
Wohl kaum. Die Superreichen legitimieren ihren Status als Superreiche und nehmen nach ihrem Willen ganzheitlichen Einfluss auf unsere Gesellschaft, ohne politische und demokratische Legitimation.
Bill Gates und die Covid-Pandemie
Wohin eine konsequente Umsetzung der „Wohltätigkeits-Ideologie“ führen kann, lässt sich am Beispiel von Bill und Melinda Gates und der gleichnamigen Stiftung nachvollziehen. Die Gates-Stiftung investiert vor allem in Maßnahmen zur Eindämmung von Infektionskrankheiten, darunter Impfkampagnen und die Verteilung von Medikamenten.
Während der Covid-Pandemie nahm die Gates-Stiftung eine führende Rolle bei der Finanzierung von Forschung und Entwicklung von Impfstoffen ein. Sie und andere Organisationen haben sich verpflichtet, Milliarden von Dollar für den Kampf gegen das Coronavirus bereitzustellen, sowohl für die Forschung als auch für den Zugang zu Impfstoffen in ärmeren Ländern.
Eine siebenmonatige Recherche von POLITICO-Journalisten ergab dazu, dass während der Covid-Pandemie eine stetige Machtverschiebung von den Regierungen hin zu dieser Gruppe von Nichtregierungsorganisationen folgte. Ausgestattet mit Fachwissen, gestärkt durch Kontakte auf höchster Ebene westlicher Nationen und gut eingespielte Beziehungen zu Arzneimittelherstellern, übernahmen vier Gesundheitsorganisationen, unter anderem die Bill & Melinda Gates Foundation, Rollen, die eigentlich Regierungen einnehmen müssten – aber ohne der Rechenschaftspflicht, welcher eine Regierung unterliegt.
Die Leiter der vier Organisationen versprachen eine gerechte Verteilung der Impfstoffe. Während der schlimmsten Wellen der Pandemie blieben Länder mit niedrigem Einkommen jedoch ohne lebensrettende Impfstoffe. Die Vorsitzenden von drei der vier Organisationen behaupteten dabei, dass die Aufhebung des Schutzes des geistigen Eigentums an Covid-Impfstoffen nicht notwendig sei, um die Impfstofflieferungen zu erhöhen.
Ein Schritt, der von Kritikern als Schutz der Interessen der Pharmariesen gegenüber den Menschen in ärmeren Ländern angesehen wurde. Ärzte ohne Grenzen erklärten: „Die Weitergabe dieser Art von Informationen wird es mehr Herstellern ermöglichen, schnell medizinische Instrumente zur Bekämpfung von COVID-19 herzustellen und sicherzustellen, dass mehr Menschen Zugang zu ihnen haben“.
Auf ihrer Website wehrte sich die Gates-Stiftung jedoch dagegen, Pharmaunternehmen unter Druck zu setzen, ihr geistiges Eigentum zu teilen, und sagte, dass dies kurzfristig wenig dazu beitragen würde, die schnelle Entwicklung von Impfstoffen voranzutreiben. Gleichzeitig hält die Stiftung Anteile an Pharmakonzernen wie Glaxo Smith Kline, Novartis, Roche, Sanofi, Gilead und Pfizer.
Ausufernde „Wohltätigkeit“ und ihre Folgen
Ein ehemaliger hochrangiger US-Gesundheitsbeamter sagte zur Gates-Stiftung: „Man darf nicht vergessen, dass es fast so ist, als hätte man es mit einem anderen großen Land zu tun, wenn es um die Spenden an globale Gesundheitsorganisationen geht.“
Neben Anteilen an Pharmariesen hält die Gates-Stiftung auch Aktien von Coca Cola und Walmart. Hinzu kommen Beteiligungen an Pepsi Co, Unilever, Kraft-Heinz, Mondelez, Tyson Foods und an den Alkoholkonzernen Anheuser-Busch und Pernod – allesamt Konzerne, welche mit krankmachenden Bedingungen zu tun haben. Machen diese Konzerne mehr Profite, kann die Gates-Stiftung mehr Geld für die WHO ausgeben.
Superreiche können mit ihren Stiftungen sowohl finanziell profitieren, als auch massiven Einfluss nehmen.
Der SWR stellte fest: Für die WHO heißt das, mit jeder Maßnahme gegen gesundheitsschädliche Aktivitäten der Süßgetränke-, Alkohol- und Pharmaindustrie würde die WHO die Gates Stiftung daran hindern, Spenden für die WHO zu erwirtschaften. Kurz, die Weltgesundheitsorganisation steckt in einem klassischen Interessenkonflikt, der sie in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt und der angesichts ihrer finanziellen Abhängigkeit von der Gates Stiftung kaum aufzulösen ist.
Es bleibt festzuhalten, dass Superreiche mit ihren Stiftungen sowohl finanziell profitieren, als auch massiven Einfluss nehmen können. Bill Gates setzte durch seine Stiftung seine Vorstellung von Gesundheitsförderung durch, stellte sich gegen die Aufhebung des Schutzes des geistigen Eigentums an der Covid-Impfung und hielt gleichzeitig Anteile an Pharmariesen, deren Kurse dadurch steil nach oben kletterten. Staatliche Organisationen werden von Stiftungen der Superreichen abhängig und geraten in Interessenskonflikte. Gleichzeitig können sich Superreiche mit dem Image des Wohltäters schmücken.
Bezeichnend für das Demokratieverständnis der Superreichen ist die Antwort von Bill Gates auf die Frage, ob er es sich vorstellen könnte, Präsident zu sein:
„Ich habe viel mehr Einfluss, als wenn ich Politiker wäre. Ich muss keinen Wahlkampf machen, ich bin nicht nur für ein paar Jahre gewählt.“
Bill Gates – „Patriot Act – Why Billionaires Won’t Save Us“
Das systemische Problem
In der Betrachtung des Einflusses der Superreichen auf die Demokratie dient Bill Gates nur als Beispiel. Das eigentliche Problem ist tief in unserem System verankert. Wenn ein Wirtschaftssystem gleichzeitig unermesslichen Reichtum und bittere Armut zulässt, werden früher oder später die Superreichen stets versuchen, über ihre Macht ihre Vorstellungen der Gesellschaft aufzudrücken und selbst davon zu profitieren. Dabei werden demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien ausgehebelt.
Die einzige Möglichkeit für eine tatsächlich demokratische Gesellschaft ist ein demokratisches Wirtschaftssystem, in dem Reichtum gerecht verteilt ist.
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